Jette Kirchner (Jg. 11) hat den ersten Platz beim Kunstwettbewerb „Kunst überbrückt“ 2023 gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Das Thema der letzten Runde war: „Selbstinszenierung im Internet“
Hier zwei der Begründungen verschiedener Jury-Mitglieder:
Nun, meiner Meinung nach hat Jette Kirchner das Thema der „Selbstinszenierung im Internet“ am trefflichsten bearbeitet. Mit Raum und Freiheit lädt sie den Betrachter zum Sinnieren ein, zum Deuten, zum Transponieren. Dies schafft sie mittels einfacher Symbolsprache, mit Bildnis und Gegenstück, mit Sein und Schein, mit Naivität und Kalkül. Zudem schätze ich ihre ausführliche Beschreibung zum Werk. Diese offenbart ihre reife Auseinandersetzung zum Thema. Bravo also!! – Iven Zwanzig
Jettes Bild hat mich zutiefst beeindruckt. Die Aussagekraft ist überwältigend, und ich konnte die gesamte Interpretation unmittelbar fühlen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, da es das inszenierte Selbst, das im Internet präsentiert wird, auf fesselnde Weise durchdringt. Jette vermittelt mit ihrem Werk eine Authentizität, die selten anzutreffen ist.- Johanna Mucha
Beschreibung:
Das Werk ist eine Fotografie, welche ein Selbstbildnis darstellt. Das Foto ist schwarz-weiß, hat aber vereinzelt blaue organische Formen auf. Die Größte dieser Formen umschließt vier verschiedene graue Firmenlogos: Instagram, Twitch, Knuddels und X (ehemals Twitter). Im Zentrum des Fotos sind zwei Personen zu erkennen, wobei Teile des Gesichts an die Person zur linken Bildseite genäht sind. Sowohl das Ohr als auch die Nase, der Mund und die Augenbrauen sind angenäht. Das Gesicht der zweiten Person ist nicht erkennbar, da sie zur Seite geneigt ist. Allerdings weist sie keine Vernähungen auf. An den oberen Bildrändern ist ein Rahmen zu erkennen, der von einem Spiegel stammt. Dieser erklärt, warum beide Personen gleich aussehen (Beide tragen das gleiche Sweatshirt und haben den gleichen Zopf). Es sind ein und dieselbe Person. In der Bildmitte treffen sich, etwas oberhalb des Kopfes, die zu einer Faust geschlossenen Hände. Im ganzen Werk finden sich kleine organische Blau-Formen wieder, sie führen das Werk zusammen.
Interpretation:
Dem Betrachter fällt auf, dass das Werk sowohl mit der Spiegelung als auch mit der Vernähung spielt und diese bewusst als Bildgestaltungsmittel einsetzt. Ich habe die Vernähungen im Gesicht bewusst für mein Werk gewählt, denn sie sollen darstellen, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint. Menschen haben das Bedürfnis von anderen akzeptiert zu werden (es liegt in ihrer Natur), deshalb versuchen sie sich an ihr Umfeld anzupassen. Dadurch fixieren sie sich auch idealisierte Schönheit Erwartungen und stellen sich, wenn diese nicht zu erreichen sind, anders im Internet dar. So ist es zum Beispiel auf Instagram (Logo: oben links). Durch Filter oder Ähnlichem inszenieren sich die Menschen anders. Genauso ist es auch bei Twitch (Logo: oben rechts), wo Streamer, egal ob groß oder klein, der großen Masse folgen und sich lieber anpassen, als sich individuell auszudrücken. Das angenähte Ohr, die Nase, der Mund und die Augenbrauen sollen diese Änderung darstellen. Die Veränderung durch die Vernähung ist nicht für immer. Es handelt sich schließlich um eine einfache Vernähung aus Zahnseide. Dies bringt einen sterilen und medizinischen Aspekt mit ins Bild. Klassisch wird mit einem normalen Faden genäht, hier habe ich mich bewusst für Zahnseide entschieden. Das könnte symbolisch den großen Unterschied zwischen der Realität und dem Internet wiedergeben. Dass beide Köpfe sich an der Stirn treffen, könnte verdeutlichen, dass es sich um eine Person handelt. Sie weist lediglich zwei unterschiedliche Persönlichkeiten auf, welche aber trotz dieser Unterschiede immer noch in manchen Punkten, hier also die Stirn, die Kleidung und die Faust. Die Faust, welche im Werk etwas oberhalb des Kopfes angeordnet ist, symbolisiert die Stärke zum Widerstand gegen diese bereits aufgeführten Unterschiede. Man will sich gegen die zweite Persönlichkeit, die vielleicht auch überhandnimmt, währen. Die Ungleichheit zwischen den beiden Personen ist darauf zurückzuführen, dass der Betrachter, die eine Person mehr sehen kann als die andere. Genauso wie Instagram und Twitch sind auch Knuddels (Logo: unten links) und X (Logo: unten rechts) umstritten. Weshalb ich mich dazu entschieden habe, die Logos von den Firmen im Bild darzustellen. Die Chat-Plattform Knuddels richtet sich an Jugendliche und wird als Dating-App beworben. Allerdings ist auch hier die Selbstinszenierung der Nutzer kritisierbar, denn die App bietet Älteren die Möglichkeit sich mit jungen Leuten in Verbindung zu setzten. Ein Vorhaben, welches ich mit meinem Werk bewusster für den Betrachter machen möchte und kritisieren möchte, denn eben dieses Phänomen führt schnell in den Bereich der Pädophilie. Das löst einen Teufelskreis aus, indem sich Täter dadurch schützen wollen, sich anders zu präsentieren. Ein Beispiel dafür ist, sich einfach jünger zu inszenieren als man eigentlich ist. Diese Selbstinszenierung ist gefährlich. Auch X wurde in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, denn Menschen stellen sich oder Sachverhalte falsch dar. Solche Lügen, wie zum Beispiel Statements von Michael Wendler, wurden aufgedeckt und an die breite Masse getragen. So deckte man gefährliche Missverständnisse über zum Beispiel Corona auf. Das gesamte Werk wirkt in sich geschlossen durch die blaue Farbe. Blau ist die Farbe des Ozeans und des Himmels und repräsentiert damit Ferne. Eben diese Ferne kann als Äquivalent zur Distanz/ Unterschied zwischen den zwei Persönlichkeiten gesehen werden.
Insgesamt ist das Werk auf viele verschiedene Selbstinszenierungen im Internet projektierbar und regt den Betrachter dazu an, sich über sein oder/ und die allgemeine Darstellung und Inszenierung von sich und anderen im Internet Gedanken zu machen. Vielleicht mit einer kritisch hinterfragenden Denkweise. Denn, beinahe jeder zeigt sich im Internet anders als in der Realität…
Jette Kirchner, Klasse 11