Am 24.01. hatte der Kunstkurs des 11. Jahrgangs in Begleitung von Frau Özdemir die Gelegenheit, die faszinierende Ausstellung von Shirin Neshat mit dem Titel „The Fury“ im Fotografiska anzusehen. Die iranische Exilkünstlerin ist bekannt für ihre tiefgehenden Werke, die sich mit der Situation von Frauen in der muslimischen Welt, insbesondere im theokratischen Iran, auseinandersetzen. Zentrale Themen ihrer Kunst sind Gegensätze zwischen den Geschlechtern, das Phänomen der Verschleierung sowie die Verbindung und Erweiterung der reichen Tradition persischer und westlicher Bildsprachen.
„The Fury“ fokussiert sich auf den weiblichen Körper als einen umkämpften Ort für Sünde, Scham, Begehren, Unterdrückung, aber auch Politik, Rebellion, Macht und Protest. Die Ausstellung zeigt Porträts verschiedener Frauen, die sowohl Schönheit, Würde, Selbstbewusstsein und Stolz, aber auch Angst, Verzweiflung, Schmerz, Verletzlichkeit und Trauma vermitteln – stellvertretend für die Tausende von Frauen, die aus politischen Gründen in den iranischen Gefängnissen sind und waren. Die Schwarz-Weiß-Fotografien von unverhüllten Körperteilen sind mit kalligrafischen, farsischen Texten der berühmten iranischen Dichterin Forugh Farrochzad bedeckt, die das Dilemma der iranischen Frauen beschreiben. Manche Texte auf den Porträts sind so klein kalligraphiert, dass man sie erst bei näherem Betrachten entdeckt. Neshats Arbeiten sind immer politisch aufgeladen, aber gleichzeitig emotional und poetisch. Schönheit und Poesie sind für sie auch eine Form des Widerstandes gegen die Gewalt.
So ist die Ausstellung besonders beeindruckend, denn sie entstand im Juni 2022, drei Monate vor den Massenprotesten im Iran. Seit Beginn dieser Proteste wurden laut Angaben iranischer Menschenrechtsorganisationen mehr als 30.000 Menschen inhaftiert und über 800 getötet bzw. hingerichtet. Die Ausstellung nimmt Bezug auf die aktuelle Situation politischer Gefangener im Iran und thematisiert die Unterdrückung der Frau und den Widerstand gegen das autoritäre Regime. Ein zentrales Element der Ausstellung ist der Fall von Jina Mahsa Amini, einer 22-jährigen Frau, die vor über einem Jahr nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei starb. Der Vorwurf lautete, dass sie die Kleidervorschriften nicht eingehalten habe. Ihr Tod löste eine weltweite Protestwelle unter dem Motto „Woman, Life, Freedom“ gegen das islamische Regime aus. Frauen sind dabei die treibende Kraft, die sich gegen die Unterdrückung seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 erheben.
Die Ausstellung regte uns dazu an, über die bereits oben aufgeführten Konflikte nachzudenken und eigene Meinungen zu bilden. Denn es wurden politische Botschaften vermittelt. So wurde der Fokus unter anderem auf soziale Ungerechtigkeiten gelenkt, nicht nur im Sinne der Frauenrechte. Diese Gedanken wurden auch durch unsere Aufgaben unterstützt, so sollten wir zum Beispiel ein Gedicht zu einer Fotografie schreiben und fiktive Interviews sowohl mit der Künstlerin als auch mit einer portraitierten Person durchführen (siehe unten). Das brachte uns näher an die Werke und die Intuition beziehungsweise ihre Entstehungsgeschichte.
Shirin Neshats „The Fury“ im Fotografiska ist nicht nur eine Sammlung von Fotografien, sondern auch eine Art Anklage gegen die Unterdrückung von Frauen und die aktuellen politischen Zustände im Iran. Die Ausstellung hat uns jedoch noch einmal ins Bewusstsein gerufen, dass hier Themen hinterfragt und beleuchtet werden, die die Frauen nicht nur im Iran, sondern weltweit betreffen.
Text: Jette Kirchner, Jg. 11; Fotos: Gülyar Özdemir
Gedicht zu Shirin Neshats Werk „Seema“, aus der Serie The Fury, 2023. Von Niklas Mauersberger und Jette Kirchner:
Schwarz auf Grau,
Eine Frau.
Große Augen,
Die mich durchschauen.
Träne im Liede,
Wie Schmerzens Hiebe.
Innerlich ist sie wach,
Doch im Betrachter des strengen Glaubens scheint sie schwach.
Ihre Haare ein Symbol ihrer Macht,
Mit der sie ihre Freiheit schafft.
Darum werden sie alle bald frei sein,
Doch das Leid wird stehts ein Teil von ihnen sein.
Gedicht zu Shirin Neshats Werk „Marry“, aus der Serie The Fury, 2023. Von Felix Malow, Mathias Kanalga und Nils Thuveson:
Mein Körper, ein Teil von mir
Zur Schau gestellt, um Position zu zeigen
Kein Tanz zum Klang vom Klavier
Beweisen, keine zu sein von den Feigen
Will für meine Meinung einstehen und sie haben
Will mich an den Freiheiten der Welt laben.
Steht auf Frauen kämpft für Gerechtigkeit
Uns verbinden viele Eigenschaften
Ästhetik, Character, Schlauheit
Drum lasst uns besiegen diese Machenschaften
Eine Welt der Gleichberechtigung ist unser Ziel
Auch weil wir mussten investieren viel
Wir befinden uns auf einem guten Weg
Um alles Gewünschte zu erreichen
Nicht jeder besitzt dieses Privileg
Sich mit dem besten zu vergleichen
Aber sind wir hoffnungsvoll und zielorientiert
Und bereit für alles, was noch passiert.
Ein fiktives Interview zu Neshats Werk „Ana“, aus der Serie The Fury, 2023 von Jette Kirchner.
– Interviewer: Hallo, ich bin hier mit der Frau, die auf dieser beeindruckenden „Fury“-Serie von Shirin Neshat ist. Könnten Sie uns etwas über Ihre Erfahrungen im Iran erzählen?
– Ana: Guten Tag. Ja, mein Name ist Ana, und ich stehe hier symbolisch für all die Frauen, die im Iran für ihre Rechte kämpfen. Mein Bild ist Teil der „The Fury“-Ausstellung, die die Verletzlichkeit und Stärke von Frauen in unserer Situation zeigt.
– Interviewer: Shirin Neshat hat Ihre Geschichte durch diese Kunstwerke sichtbar gemacht. Können Sie uns mehr darüber sagen, wie sie Ihre Emotionen und Ihren Widerstand in diesem Bild eingefangen hat?
– Ana: Shirin hat es geschafft, meine Gefühle in meinen Augen einzufangen. In diesen spiegelt sich das Leiden wider, das viele Frauen erleben, wenn sie sich gegen die strengen Normen/ Gebote im Iran auflehnen. Gleichzeitig zeigen sie die Stärke und den Widerstand, den wir Tag für Tag aufbringen.
– Interviewer: Das Bild symbolisiert den Kampf gegen die Unterdrückung/ Missachtung von Frauenrechten. Inwiefern hoffen Sie, dass dieses Bild und die Ausstellung einen Einfluss auf die Welt haben können?
– Ana: Unsere Geschichten müssen gesehen/ wahrgenommen werden. Shirin Neshat gibt uns durch ihre Kunst eine Stimme. Diese Bilder sollen diejenigen wachrütteln, die wegsehen, und sie dazu ermutigen, sich für die Frauen im Iran und weltweit einzusetzen. Diese Kunst soll das Bewusstsein schärfen.
– Interviewer: Möchten Sie abschließend noch etwas loswerden, vielleicht einen Aufruf, immerhin gibt es Menschen, die nicht den gleichen Herausforderungen gegenübertreten müssen?
– Ana: Ich möchte, dass die Welt erkennt, denn wir alle teilen dieselbe Menschlichkeit, und es ist klar, dass Frauen überall die gleichen Rechte und Freiheiten genießen können. Schaut genau hin, und setzt euch für diejenigen ein, die keine Stimme haben!